Wer die boshafte Wortschöpfung «Lottergoalie» erfunden hat, ist nicht bekannt. Sie kommt wahrscheinlich vom berndeutschen Verb «lottere» (am Auseinanderfallen, wackeln). Sinngemäss ginge auch «Lodeligoalie», nach dem ebenfalls berndeutschen Tätigkeitswort «lodele» für eine Türe, die nicht richtig geschlossen werden kann oder eine nicht fest genug angezogene Schraube. Item, es geht hier ja nicht um einen sprachwissenschaftlichen Exkurs. Es geht um Luca Boltshauser. Er war gegen Lausanne ein «Lottergoalie» oder eben ein «Lodeligoalie». Punkt. Aber von Weltklasseformat. Doppelpunkt.
Luca Boltshauser hat das Drehbuch zu einem Playoff-Drama sondergleichen geschrieben. Erst bezwingt ihn Dominik Kahun von der verlängerten Torlinie aus zum 2:2. Der Treffer ist so unmöglich, dass die Schiedsrichter ihren Augen nicht trauen, nicht glauben können, dass der Puck auf legale Art und Weise den Weg ins Netz gefunden hat und sehen auf dem Video nach, ob alles mit rechten Dingen zu- und hergegangen sei. Und dann erwischt Tim Bozon Langnaus letzten Mann elf Sekunden vor Schluss in Unterzahl mit einem letzten Verzweiflungsversuch in die nahe Ecke zum 3:3. Kein Schelm, wer nun Luca Boltshauser gleich als «Lotter»- und «Lodeligoalie» bezeichnet.
Aber nach vollbrachtem Sieg (Brian Zanetti trifft in der 78. Minute zum 4:3) sagt Thierry Paterlini: «Luca war wirklich unglaublich gut.» Da Langnaus Trainer durchaus einen Sinn für Ironie hat, könnte der boshafte Gedanke aufkommen, er habe das ironisch gemeint. Aber so ist es ganz und gar nicht. Er meinte es wirklich so. Weil es so ist. Punkt.
Entscheidend ist nämlich nicht die Aktion. Entscheidend ist die Reaktion. Luca Boltshausers Reaktion macht ihn zum besten «Lotter»- oder «Lodeligoalie» aller Zeiten. Er zeigt keinerlei Zeichen der Frustration.
Hätte er nach dem 2:2 oder dem 3:3 vor Ärger den Stock auf dem Torgehäuse zerschmettert, die Hände verworfen oder wäre unendlich lange enttäuscht liegengeblieben oder hätte mit dem Stock anklagend Richtung eines Mitspielers gezeigt, um fehlende Unterstützung zu reklamieren – dann wäre er, dann wäre Langnau verloren gewesen. Denn dann hätte er sich nicht mehr konzentrieren, dann hätte er nicht mehr ins Spiel zurückkehren können. Erst recht nach dem 3:3, das Langnau vorerst den Sieg gekostet hat.
Aber Luca Boltshauser bleibt cool. Seit Menschengedenken ist kein Torhüter in einer so extrem schwierigen Situation, die er durch eigenes Versagen erst herbeigeführt hat, so cool geblieben. Der grosse Conrad Ferdinand Meyer – ein Zürcher – hat einmal, als er unerschütterliche Ruhe und Selbstsicherheit kennzeichnen wollte, das Wort vom «unbestürzbaren Bernergesicht» geprägt, das trifft es gut: Der Zürcher Luca Boltshauser hat als Hauptdarsteller in einem Hockeydrama hinter seiner Goaliemaske ein «unbestürzbares Bernergesicht» verborgen.
Er bleibt in seiner Welt – im Spiel – drin, schüttelt beide Treffer aus seiner Psyche wie ein Hund das Wasser aus dem Fell. Und weiter geht’s. Er stoppt in der Verlängerung unter der maximalsten aller maximalen Nervenbelastungen alle 13 gegnerischen Abschlussversuche. Hätte er Lausanne den Siegestreffer erlaubt – er wäre auf Lebzeiten im Emmental hinten den Schwefelgeruch eines Lotter- und Lodeligoalies nicht mehr losgeworden.
Am Ende steht für Luca Boltshauser eine Fangquote von famosen 93,62 Prozent. Er hat 44 von 47 Pucks gehalten. Wahrscheinlich hat noch nie ein «Lotter»- oder «Lodeligoalie» eine so hohe Fangquote in einem Playoffspiel inklusive Verlängerung erreicht. Und völlig zu Recht ist er von den Fans zum besten Spieler der Partie gewählt worden. Ein «Lotter»- und «Lodeligoalie» kriegt die Auszeichnung zum Star des Abends – auch das dürfte einmalig sein und bleiben.
Nur weil Luca Boltshauser die Verlängerung verursacht, kommt es zum lautesten, wildesten und längsten Torjubel in der Geschichte des Emmentaler Kult-Lokalradios Neo1, das jedes Spiel live überträgt. Reporter Stefan Sommer, im richtigen Leben ein eher introvertierter, stockseriöser Bankangestellter, flippt nach dem 4:3 von Brian Zanetti zusammen mit seinem Co-Reporter Sven Unternährer aus und die Frage ist: Was macht der junge Mann, wenn Langnau einmal Meister werden sollte? Jubelt er auch so, wenn die Kurse seiner Aktien im Depot steigen?
Luca Boltshauser hat, ohne es zu wissen, auch für Hektik im Theatersaal gesorgt. Im Gasthof Löwen zu Trub, im tiefsten Emmental also, hat die Theatergruppe des örtlichen Jodlerklubs am Samstag zeitgleich das Drama «Das letzte Testament» gespielt. Vor und nach dem Theater werden Jodellieder vorgetragen. Die Sängerinnen und Sänger verfolgen die Theateraufführung eigentlich im Saal. Aber am Samstag sind sie nach dem Jodeln und Singen sogleich in die Gaststube geeilt, um das wahre Eistheater an der Ilfis zu verfolgen.
Die Schauspielerin, die als Frau Bodell im Theater unter ein Fuhrwerk gerät und stirbt, sei nach ihrem Theatertod sogleich, noch im Theaterkostüm, in die Gaststube hinuntergefegt, um die Schlussphase nicht zu verpassen. Es war dann schon Pech, dass es zu einer Verlängerung gekommen ist: Alle mussten nämlich nach dem Theater wieder auf die Bühne und noch einmal jodeln und singen – während in Langnau die Verlängerung gespielt wurde.
Wir sind kurz vom Thema abgekommen. Eishockey ist ein Teamsport und es wäre ungerecht, nur Luca Boltshauser als Helden zu feiern. Die Langnauer haben Lausannes Tempospiel mit einem schlauen Defensivkonzept in der neutralen Zone abgebremst (mit dieser Defensivtaktik hat Finnland WM-Titel und Olympiagold geholt) und den Titanen frustriert und mit rauem Forechecking zermürbt.
Die Frage ist also, ob Luca Boltshauser weiterhin cool bleibt und ob seine Vordermänner die taktische Disziplin bewahren und genug Energie haben, um den Titanen, den sie ins Wanken gebracht haben, am Ende zu stürzen. Beim nächsten Akt am Montagabend in Lausanne.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Der Eismeister hat wohl wohl einem Glas Wein Zuviel gefrönt, so wie er ein Durcheinander macht.
Oksanen traf aus einem Gestocher vor dem Tor zum 2:1. zum 2:2 von der verlängerten Torlinie traf Kahun und Bizon traf von weit hinter dem Tor.
Ändert nichts am Ausgang, zeigt aber, was Wein beim Eismeister anrichten kann. 🤷♂️